Beginn der Rieger-Geschichte
Franz Rieger (1812–1885), aus kleinbäuerlichen Verhältnissen stammend, absolvierte nach Abschluss einer Tischlerlehre in Wien die Ausbildung zum Orgelbauer bei Joseph Seybert, ehe er in seiner Heimatstadt Jägerndorf in Schlesien (heute Krnov) im Jahre 1845 mit der Gründung einer eigenen Werkstatt den Grundstein für das heute weltweit tätige Unternehmen „Rieger Orgelbau“ legen konnte.
In bescheidenen Werkstätten entstanden die ersten Instrumente: mechanische Schleifladenorgeln mit bis zu 20 Registern.
Von den Kindern des Gründers entschieden sich Otto Anton (1847–1903) und Gustav (1848–1919) für das väterliche Gewerbe. Nach einer Lehrzeit im väterlichen Betrieb führten sie die Wanderjahre zu den damals wichtigsten Orgelbauern in Deutschland.
Zweite Generation: Gebrüder Rieger
Die Weltausstellungen 1873 in Wien und 1878 in Paris waren entscheidende Wendepunkte in der Firmengeschichte. Franz Riegers Söhne traten in den väterlichen Betrieb ein und begannen die überlieferten Betriebsabläufe auf neue Grundlagen zu stellen, ab 1880 im Alleinbesitz unter dem Namen „Gebrüder Rieger“.
Aufgrund der zahlreichen Folgeaufträge nach den Weltausstellungen musste ein neuer großer Werkstattbau in Angriff genommen werden, der allen technischen Fortschritt jener Zeit bieten konnte.
Fotos: Otto und Gustav Rieger / Otto Rieger als Bürgermeister / Montagesaal
Mechanische Kegelladenorgeln
Die Gebrüder Rieger dachten industriell, also höchstmögliche rationelle Produktion und dennoch künstlerisch hochwertig. Die sensiblen mechanischen Kegelladenorgeln fanden breite Zustimmung in Fachkreisen, und bald folgten erste Exporte nach Skandinavien und vor allem nach Südosteuropa. Die Gründung eines Filialbetriebes 1894 in Budapest war die logische Folge.
Für die rasch wachsende Belegschaft wurden Dienstwohnungen gebaut und eine eigene Betriebskrankenkasse eingerichtet. Durch diese Sozialleistungen angespornt, wurden die Mitarbeiter zu Höchstleistungen gebracht und langfristig in den Betrieb eingebunden.
Um 1900 ist das Firmengelände auf 20.000 m² angewachsen und in den neu erbauten Werkstätten arbeiten rund 150 Mitarbeitende.
Erfolgreicher Bau großer Konzertsaalorgeln
1902 trennten sich die Brüder, und Gustav zog sich nach Wien zurück. So führte Otto Franz Rieger (1880–1920) – nun in dritter Generation - ab 1903 den Betrieb alleine.
Die Firma war inzwischen so leistungsstark, dass bis zu 90 Instrumente pro Jahr ausgeliefert werden konnten. Grundlage dafür war ein ausgeklügeltes Bausystem, das trotz aller Qualität auch kostengünstig produziert werden konnte. Gleichzeitig gelang der Durchbruch im Bau großer Konzertsaalorgeln.
Nachfolger Joseph von Glatter-Götz
Der Erste Weltkrieg und das Ende der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war für den Geschäftsgang ein tiefer Einschnitt, dazu kam der überraschende Tod des Firmeninhabers im Jahr 1920. Seine hinterlassene Witwe war den wirtschaftlichen Problemen der Zwischenkriegszeit nicht gewachsen, fand aber in Joseph von Glatter-Götz (1880–1948) einen geeigneten Nachfolger, der den Betrieb 1924 in seinen Besitz bringen konnte.
In den nach 1918 entstandenen Nationalstaaten Mitteleuropas mussten allerdings die alten Märkte neu erobert werden. In diesen Jahren fungierte Josef Kloss als Betriebsleiter, ehe er sich 1937 selbstständig machte.
Folgegeneration Glatter-Götz
Ab 1936 trat die nächste Generation der Familie Glatter-Götz in den Betrieb ein. Egon (1911–1940) und Joseph Glatter-Götz jun. (1914–1989) genossen neben ihrer Ausbildung im eigenen Betrieb auch technisch-akademische Studien in Breslau und Berlin.
Zu dieser Zeit wurden neben pneumatischen Trakturen vielfach auch elektrische Systeme gebaut und die klanglichen Anforderungen der Orgelromantik zu Gunsten klassischer Vorstellungen den Kundenwünschen entsprechend angepasst.
Mit dem Aufbau weiterer Dependancen in Skandinavien, Polen und Österreich wurden neue Märkte erschlossen, die Exporte nach Übersee intensiviert und nahe dem Stammhaus im deutsch-polnischen Mocker ein vollwertiger Orgelbaubetrieb neu errichtet.
Der politische Anschluss an das Deutsche Reich brachte anfangs einen weiteren Aufschwung, doch kam der Orgelbau schon 1942 kriegsbedingt zum Erliegen.
Längst hatte man die Opuszahl 3.000 überschritten, mit bis zu 200 Mitarbeitern gehörte Rieger zu den größten Orgelbaubetrieben der damaligen Zeit.
Kriegsende und Neubeginn in Vorarlberg
Das Kriegsende 1945 brachte ein vorläufiges Ende. Als Opfer der Benes-Dekrete wurde die Familie Glatter-Götz enteignet und musste mitsamt der deutschsprachigen Belegschaft den tschechischen Staat entschädigungslos verlassen.
Der Betrieb im nahen Mocker war 1945 zerstört worden, die Filialen erloschen. Das Werk in Budapest wurde später als Fa. Aquincum weitergeführt (ohne Verbindung zu Rieger) und das Stammhaus in Jägerndorf unter nationale Verwaltung gestellt. Ab 1947, als Josef Kloss zum neuen Betriebsleiter ernannt wurde, wurden die Werkstätten in die Firma Rieger-Kloss umgewandelt. Ab 1989 privatisiert, wurde der Betrieb 2015 endgültig stillgelegt.
Der Familie Glatter-Götz gelang 1946 in Schwarzach in Vorarlberg in sehr bescheidenen Verhältnissen der Neubeginn in den aufgelassenen Werkstätten der Firma Behmann (1878–1931).
Exporterfolge in aller Welt
Joseph Glatter-Götz d. J. hatte schon 1936 mit der Konstruktion und dem Bau kleiner mechanischer Schleifladenorgeln begonnen, die nun das geistige Grundgerüst für die weitere Entwicklung bilden konnten.
Erst die Beteiligung an der Messe 1949 in Dornbirn/Vlbg brachte den entscheidenden Durchbruch. Berühmte Musiker wie Hindemith oder Karajan wurden nun auf Rieger aufmerksam. Mit Instrumenten von vier bis 21 Registern gelang ein erster Exoport in die USA. Es folgten Deutschland, später die Schweiz und zuletzt Österreich. Auch der Exportanteil nach Übersee stieg in der Folge kontinuierlich.
Joseph Glatter-Götz d. J. bereicherte den Nachkriegsorgelbau nicht nur durch wesentliche technische Verbesserungen (Trakturen, Setzer, Tonventile, Doppelregistratur 1965, elektronische Registerspeicherung 1968). Er war auch einer der wenigen Orgelbauer dieser Zeit, der überwiegend stilistisch aussagekräftige Gehäuselösungen fand.
Werkstätten-Neubau
Die überaus einfachen Werkstätten, über das ganze Dorf Schwarzach verstreut, konnten 1972 endlich in einem großzügigen Neubau zusammengefasst werden. Nach einem umfangreichen Betriebsumbau 1993 wurde der Firmensitz auch in den Folgejahren immer wieder erweitert und in der Ausstattung verbessert.
Sechste Generation und Trakturbau
Schon 1969 trat mit Caspar Glatter-Götz (*1945) die nächste Generation in den Betrieb ein, denn seine Brüder Raimund (1948–2013) und Christoph (*1951) folgten im Jahr 1977, um 1984 den Betrieb endgültig zu übernehmen. Caspar leitete die Werkstatt, Raimund führte die künstlerischen Arbeiten aus (Prospektgestaltung), Christoph übernahm den kaufmännischen Bereich.
1972 wurde im neu erbauten Betriebsgebäude der Trakturbau durch Langzeitversuche entsprechend intensiviert. Die Domorgel von Ratzeburg bei Lübeck (1978, IV/60) war ein erster Höhepunkt und brachte weltweit viele Folgeaufträge für den Bau großer Instrumente.
Im Jahr 1993 verließ Caspar Glatter-Götz aus persönlichen Gründen den Betrieb in Schwarzach, um in Süddeutschland ein eigenes Unternehmen zu gründen.
Mit neuen Impulsen in die Zukunft
Zehn Jahre später, 2003, kam es auch bei Rieger Orgelbau in Schwarzach zum Generationenwechsel. Wendelin Eberle (* 1963), seit 1978 im Betrieb, übernahm die Gesamtverantwortung mit damals 38 Mitarbeiter:innen. Inzwischen ist die Belegschaft auf über 60 Personen aus allen Teilen der Welt angewachsen. Ein Grund für diesen personellen Zuwachs ist das Bestreben, möglichst alle Details einer Orgel selbst herzustellen, sowie die feste Einrichtung einer eigenen Restaurierungsabteilung.
Aufgrund einer deutlich veränderten Prioritätensetzung sowohl auf Klang und Stilcharakteristika, als auch auf technische Novitäten, die der unmittelbaren künstlerischen Praxis zugutekommen (proportionale Spiel- und Registertraktur, Vierteltonklavier, verstellbarer Winddruck u.a.m.), erfuhr der Orgelbau insgesamt durch Wendelin Eberle und sein kompetentes Team innovative Impulse, die man an zahlreichen herausragenden Instrumenten der letzten zwanzig Jahre - repräsentativ für alle - ablesen kann, insbesondere bei renommierten Konzertsaal-Instrumenten oder bei Kathedralorgeln.